Lesen Sie zu den unten stehenden News vom 14. September 2021 auch das Interview unseres Vorstandsmitglieds Christoph Aebi in den SRF-News vom 18. September 2021.
Interview
Zunehmende Fallzahlen bei Kindern und Jugendlichen im Rahmen der 4. Welle führen zu einem Flickenteppich unterschiedlicher kantonaler Verordnungen zu Schutzmassnahmen in Schulen und verunsichern Eltern und Ärzteschaft. pädiatrie schweiz, Kinderärzte Schweiz (KIS) und die Schweizerische Vereinigung der Fachpersonen im schulärztlichen Dienst (scolarmed) sind besorgt über diese Entwicklung, weil erneut die Kinderpopulation Zielscheibe belastender Massnahmen wird, die medizinisch nicht gerechtfertigt sind.
Aus pädiatrischer Sicht halten wir fest:
bezüglich Krankheitslast:
- die Delta-Variante führt nicht zu schwereren COVID-19 Verläufen als vorgängige Varianten. Diese Aussage basiert auf klinischen Erfahrungen über mittlerweile 2 Monate in der Schweiz, BAG Daten und publizierten Daten aus den USA.
- die Krankheitslast für Kinder und Jugendliche in der Schweiz ist für COVID-19 insgesamt geringer als die Krankheitslast verursacht durch andere respiratorische Viren (RSV, Influenza).
- das sehr seltene PIMS-TS Syndrom (grob geschätzt 1:5’000 bis 1:10’000 Infektionen) hat in der Schweiz bisher zu keinen Todesfällen geführt und hinterlässt nach bisherigen Erkenntnissen nach bis zu einjähriger Nachbeobachtungszeit nur sehr selten Residuen.[Link]
- die COVID-19 Impfung ist seit dem 26.08.2021 ab dem Alter von 12 Jahren uneingeschränkt empfohlen.
bezüglich Epidemiologie:
- die Seroprävalenz (Durchseuchung), die vor Beginn der 4. Welle je nach Kanton bereits bis zu 40% betragen hat, wird weiter rasch zunehmen, unter anderem weil die Delta-Variante hochkontagiös ist und weil die Teststrategie in der Schweiz seit Beginn der Pandemie so angelegt ist, dass die Durchseuchung bei den unter 6-Jährigen und (teilweise) auch bei den 6-12-Jährigen zugelassen wird.
- der bisherige Verlauf der 4. Welle weist darauf hin, dass auch für die Delta-Variante die wichtigste Transmissionsrichtung von jungen Erwachsenen zu Kindern führt und nicht umgekehrt, weil sich das altersspezifische Inzidenzmaximum mit zunehmender Dauer der Welle nach unten verschiebt [Link].
- das wichtigste Transmissionsfeld bleiben Familie und Haushalt, weil die Impfrate in der Erwachsenenbevölkerung ungenügend ist, deren Mobilität weitgehend uneingeschränkt ist und sie nicht systematisch getestet wird.
bezüglich Schulmassnahmen:
- Die hohen Fallzahlen führen bei Massentestungen vielerorts zu hohen Quarantänezahlen, gefährden den regulären Schulbetrieb und unterhalten pandemiebedingte Sekundärschädigungen von Kindern und Jugendlichen.
- Maskenobligatorien sind vor allem in der Primarschule zu hinterfragen. Es gibt zwar Hinweise dafür, dass sie im Schulsetting mit moderat weniger Übertragungen assoziiert sind [Link], sie werden den Gesamtverlauf der Pandemie aber kaum relevant beeinflussen.
- Einfache Lüftungsmassnahmen in Schulräumen fördern tiefe CO2-Werte und damit Wohlbefinden, Aufmerksamkeit und Leistungs-fähigkeit. Sie haben ebenfalls einen moderaten Schutzeffekt gegen SARS-CoV-2 Übertragungen (ca. 40% in einer Studie). Der Effekt von Luftfilteranlagen zur Elimination von SARS-CoV-2 im Schulsetting ist im Alltag noch wenig erforscht und für die Pandemiekontrolle nicht prioritär.
pädiatrie schweiz und KIS plädieren aus pädiatrischer Sicht deshalb dafür, dass
- ein geregelter, störungsarmer Schulbetrieb in den Volksschulen sichergestellt bleiben muss und alle notwendigen Massnahmen dieses Ziel berücksichtigen.
- Bund und Kantone eine schweizweit harmonisierte Strategie festlegen, welche einfach umsetzbar und angesichts der vergleichsweise geringen Krankheitslast von COVID-19 bei Kindern und Jugendlichen angemessen ist.
- Massentests, Maskenobligatorien und Quarantäneverfügungen auf ein unerlässliches Minimum reduziert werden.
- Quarantänemassnahmen flexibel und mit Augenmass eingesetzt werden. Bei repetitivem Testen sollen sie gänzlich weggelassen und Klassenquarantänen sollen nur bei mehreren Fällen (z.B. drei pro Klasse innert weniger Tage) ausgesprochen werden.
- die nationale Impfkampagne für Erwachsene und Jugendliche ab 12 Jahren thematisiert, dass die Impfung die wichtigste Massnahme zur Vermeidung von pandemiebedingten Schädigungen von Kindern und Jugendlichen ist und einen wesentlichen Beitrag zu deren Gesundheit leistet.