Kinder und Jugendliche mit komplexen chronischen Erkrankungen, bei denen ein kurativer Behandlungsansatz nicht (mehr) zielführend oder der Nutzen unsicher ist, bedürfen einer umfassenden palliativen Betreuung, welche die Familie und ihr Umfeld eng berücksichtigt. Diese kann medizinisch-pflegerischer und/oder sozialer, seelischer und/oder spiritueller Art sein. Nahestehende, insbesondere Eltern, Geschwister, Grosseltern und andere Bezugspersonen sind mitbetroffen – über das Versterben des Kindes oder des Jugendlichen hinaus.
In der Schweiz bestehen Bestrebungen nationale Daten zu pädiatrischer Palliative Care (PPC) zu generieren. Man geht von einer Prävalenz von 10’000 Kindern aus(1). Um dieser Population der erkrankten Kinder und deren Familien zusätzlich Gehör zu verschaffen sowie Fragen und Anliegen unter Fachpersonen besprechen zu können, ist vor vierzehn Jahren das Schweizer Pädiatrische Palliative Care Netzwerk (PPCN CH) entstanden.
Einführung
Das PPCN CH wurde im Oktober 2010 auf Initiative einer Pflegeexpertin des Universitäts-Kinderspitals Zürich als loses Netzwerk gegründet, zu einem Zeitpunkt an dem das Schweizer Gesundheitssystem und die Schweizer Gesundheitspolitik dem Thema Palliative Care vermehrt Aufmerksamkeit schenkten. Die Pädiatrie sollte in der von Erwachsenen geprägten Palliative-Care-Landschaft ebenso vertreten sein und auch in der Nationalen Palliative Care Strategie 2010 – 2012 sowie den Nationalen Leitlinien des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) besser sichtbar gemacht werden(2).
Von Anbeginn bearbeiteten die Mitglieder anhand von einer Dringlichkeitstriagierung Themen, die sich mit strategischen Fragen zur Weiterentwicklung des Netzwerkes und der PPC-Thematik sowie konkreten Fragestellungen im Praxisalltag befasste.
Das wichtigste Grundlagenpapier ist der Betreuungsplan, der national verwendet wird.
Die anfänglich durch das Netzwerk erstellte Website wurde im Jahr 2023 in die von palliative.ch integriert und bildet dadurch die gemeinsamen Ziele sowie die nationale Vernetzung noch klarer ab(3). Die Zusammenarbeit mit palliative.ch ist für das Netzwerk konstruktiv und wird seit zwei Jahren weiter ausgebaut, sowohl in Bezug auf den gemeinsamen Auftritt und das Einbringen von Schwerpunktthemen als auch die Vertretung der pädiatrischen Anliegen und das Sichtbarmachen der PPC auf verschiedenen Kanälen.
Mitglieder
Obwohl anfänglich monoprofessionell aktiv, mit Pflegefachpersonen aus unterschiedlichen Settings, und ideellem ärztlichen Support, war bereits initial das Ziel, dass zunehmend möglichst umfassend die Professionen aus dem Palliative Care Bereich im Netzwerk vertreten sein sollten – insbesondere auch die Ärzteschaft. Die gesamte Schweizer Versorgungsstruktur soll abgebildet werden: Der stationäre Bereich, ambulant Tätige in der Kinderspitex oder aus Organisationen, die sich mit Freiwilligen engagieren und psychologisch oder therapeutisch Tätige, Fachpersonen aus pädagogischen Institutionen, Hospiz-Initiativen, wie auch Seelsorgende und Sozialarbeitende. Fachpersonen in Bestattung, Trauerbegleitung und der Forschung sind ebenso vertreten (Grafik 1).
Die Mitgliederzahlen steigen stetig an. So gehören rund 100 Fachpersonen zum Netzwerk (Grafik 2) und sind bestrebt, gemeinsam die Situation der betroffenen Kinder, Jugendlichen und Familien zu verbessern.
Vertreten sind Mitglieder aus allen Teilen der Schweiz (Grafik 3) mit dem multiprofessionellen Ansatz und der praktisch gelebten Netzwerkarbeit.
Hervorzuheben ist, dass die langjährige Co-Leitung sowie die Kontinuität durch die regelmässigen Treffen Stärken sind, und neuen Mitgliedern sowohl die Kontaktaufnahme als auch die Mitarbeit erleichtern. Ein Grossteil der Arbeiten der Leitung sowie der Steuergruppe werden ehrenamtlich geleistet.
Vernetzung
Zusammenarbeit mit nationalen Netzwerken
Mit der Kollektivmitgliedschaft bei palliative.ch unterstreicht das Netzwerk die Integration der PPC als Teildisziplin der Palliative Care und thematisiert Erkenntnisse und Lücken auf nationaler Ebene, sei es am Nationalen Palliative Care Kongress oder in Arbeitsgruppen der Dachorganisation. Die Delegierten der Kinderspitex Organisationen, davon viele im Verband Kinder-Spitex Schweiz, bieten auf pflegerischer Ebene eine kompetente Zusammenarbeit(4-6).
Die PPCN CH Mitglieder haben in den vergangenen Jahren im Rahmen ihrer beruflichen oder freiwilligen Tätigkeit verschiedene neue Angebote entwickelt. Folgend ein paar Beispiele: Diverse Vereine, Organisationen und Institutionen engagieren sich im Bereich der palliativen Gesundheitsversorgung von Familien. Ein solcher ist der Verein «Raum für Geschwister – VRG», der sich als Kompetenzzentrum für Geschwisterkinder in der Schweiz etabliert hat(7).
Die Elternvereinigung intensiv-kids stellt sich bei Forschungsarbeiten für Betroffeneninterviews in verschiedenen Settings zur Verfügung und gibt den Betroffenen eine Stimme(8).
Die Kinderhospizbewegung hat in den letzten Jahren Fahrt aufgenommen. Im Sommer dieses Jahres wurde das Kinderhospiz Allani eröffnet(9). Weitere Organisationen über die Schweiz verteilt sind aktiv in diesem Bereich(10-11). Betroffene Familien haben zunehmend die Möglichkeit, mit professioneller Unterstützung die Versorgungsform ihren Bedürfnissen anzupassen. Ein enger Austausch im Netzwerk unterstützt die Planung und bedarfsgerechte Umsetzung und leistet damit einen Beitrag diese seit Jahrzehnten bestehenden Versorgungslücke in der Schweiz zu verkleinern.
Die Stiftung As’Trame begleitet Kinder, deren Leben durch einen Todesfall, eine Trennung oder eine Krankheit erschüttert wurde, um sie nicht mit ihrem Schmerz alleine zu lassen. Sie unterstützt auch die Familien, damit sie für das Kind weiterhin eine Ressource bleiben und ihm Halt und Schutz bieten können(12).
Mit der generalisierten Ausbildung in der Pflege haben sich die Voraussetzungen in der Praxis elementar verändert. Palliative Care-Fachvertiefung und Spezialisierungen wurden eingefordert und die Institutionen mussten Wege finden, wie sie die Aus- und Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden gewährleisten können. PPCN CH bietet eine Plattform um sich Wissen anzueignen und Themenbereiche aufzunehmen. So werden PPCN CH-Mitglieder von den Bildungsinstitutionen für verschiedene Aus- und Weiterbildungslehrgänge für die Vermittlung von spezialisiertem Fachwissen angefragt und eingesetzt. Seit 2011 bzw. 2017 ermöglicht es Weinfelden als erstes Bildungszentrum im Land den Pflegefachpersonen, sich in der Schweiz mit Basis- und Aufbaukursen in PPC weiterzubilden(13). Diese werden auch angerechnet als Bestandteile des Zertifikats-/Masterlehrgänge in Pädiatrischer Pflege(14).
Für die Ärzteschaft oder andere Professionen in der PPC gab es keine vergleichbaren Angebote. Diese waren auf Angebote im Ausland, z.B. in Deutschland, Grossbritannien oder Australien angewiesen. Seit 2022 bietet die Universität Zürich in Zusammenarbeit mit dem Universitäts-Kinderspital Zürich einen interprofessionellen CAS-Lehrgang in PPC an(15,16). Ethik ist in der PPC ein zentrales Thema wird zum Beispiel durch Schnittstellen mit Dialog Ethik im Netzwerk thematisiert(17). Mitglieder des PPCN CH Netzwerkes haben massgeblich zu dieser Entwicklung beigetragen und nutzen die wachsenden Angebote auch rege als Teilnehmende.
Zusammenarbeit mit internationalen Netzwerken
Verschiedene Mitglieder arbeiten mit und in internationalen Netzwerken. Durch palliative.ch besteht eine Zusammenarbeit mit der Europäischen Vereinigung für Palliative Care (EAPC). Zudem ist ein Mitglied in der Steuergruppe der Referenzgruppe für PPC der EAPC vertreten(18). Dies ermöglicht einen niederschwelligen Informationsaustausch und die Mitarbeit an Produkten wie der European Charter on Palliative Care for Children and Young People(19).
Ein weiteres Mitglied ist in Zusammenarbeit mit dem schweizerischen Lizenznehmer für Letzte Hilfe-Kurse in intensivem Austausch mit Last Aid international und gemeinsam mit zwei weiteren Mitgliedern in der Kursleitung aktiv(20). Die multidisziplinär ausgerichteten Kurse werden je von einer Pflegefachperson und einer Person aus der Seelsorge/Pädagogik geleitet; dabei geht es um die Grundsensibilisierung mit der Thematik Krankheit, Sterben, Tod und Abschied und bietet den Kindern und Jugendlichen die Möglichkeiten zur Auseinandersetzung. Ziel ist die Etablierung der niederschwelligen und präventiv angesetzten Kurse in der Schweiz.
PPCN CH-Mitglieder werden sporadisch angefragt, Beiträge an internationalen Kongressen beizusteuern, wie etwa für die Dattelner Kinderschmerztage.
Öffentlichkeitsarbeit / Sensibilisierungsarbeit
Dieses Jahr schliesst sich das Netzwerk zum dritten Mal der jährlichen internationalen Sensibilisierungskampagne für Pädiatrische Palliative Care an. Der Hashtag «HatsOn4CPC-Day» wurde vor elf Jahren durch die ICPCN – improving palliative care for the world’s children – initiiert, um auf die aktuell von ihnen geschätzte Population von mehr als 21 Millionen Kindern mit PPC-Bedarf aufmerksam zu machen(21).
Die Gestaltung der Aktionen organisieren die Regionen jeweils selbstständig. In der Regel sind es Standaktionen an einem Zentrumsspital oder im öffentlichen Raum. Dabei wird das Gespräch mit Fachpersonen und der Öffentlichkeit gesucht. Zudem fördern solche Aktionen die Vernetzung innerhalb von Regionen mit anderen Disziplinen innerhalb der Pädiatrie und mit dem Erwachsenenbereich. Insbesondere Schweizer Kinderhospiz-Organisationen nehmen zudem Bezug auf den jährlichen Welthospiztag(22). Palliative.ch und regionale Organisationen berichten in den Sozialen Medien über die Anlässe.
Im Rahmen der Netzwerktreffen besteht Gelegenheit auf lokale, regionale und überregionale Öffentlichkeitsarbeit, wie zum Beispiel Podcasts, Zeitungsartikel oder Filmreportagen zur Thematik, aufmerksam zu machen.
Produkte / Betreuungsplan
Seit dem Jahr 2015 stellt PPCN CH eine nationale Vorlage für einen umfassenden Betreuungsplan zum Download auf Deutsch, Italienisch und Französisch zur Verfügung. Auch wenn der Betreuungsplan primär für palliativ betreute Kinder eingesetzt wird, kann er für andere Patientinnen und Patienten mit komplexen Bedürfnissen genutzt werden. Das Dokument wird in regelmässigen Abständen durch PPCN CH überarbeitet; parallel dazu sind regionale Adaptationen vorgenommen worden. So stellt zum Beispiel das Universitäts-Kinderspital Zürich eine englische Version zur Verfügung. In naher Zukunft wird eine überarbeitete Version des Betreuungsplans sowie eine Version für die perinatale Palliative Care zur Verfügung stehen. Weiter wurde interprofessionell ein Leitfaden zu Dyspnoe erstellt. Vorerst wird aus Gründen von Ressourcen und hohen Qualitätsansprüchen auf die Entwicklung von weiteren Leitfäden durch das Netzwerk verzichtet. Neu wird ein Zwei-Jahres-Fortbildungscurriculum, welches die Kernaspekte der PPC abdeckt, aufgebaut. Dies soll die Planung der Fortbildungen für die Mitglieder vereinfachen.
Ausblick
Das Netzwerk PPCN CH hat sich in den vergangenen 14 Jahren etabliert und ist zu einem festen Bestandteil in der Agenda der PPC-tätigen Fachpersonen geworden, was die ungebrochen steigenden Mitgliederzahlen belegen. Dieses Wachstum brachte eine Zunahme organisatorischer Arbeiten der Co-Leitungen mit sich; seit der Bildung einer Steuergruppe im 2022 können die Arbeiten auf weitere Personen aufgeteilt werden. Diese Umverteilung ermöglicht es, dass parallel zu den operativen Tätigkeiten das Augenmerk auf die strategische Bedeutung und Ausrichtung des Netzwerkes gerichtet werden kann. So tagte die Steuergruppe dieses Jahr erstmals unter fachkundiger externer Leitung, um Rückschau zu halten, die laufenden Arbeiten zu evaluieren und die Ausrichtung mittelfristig zu planen.
Hilfreich ist dabei, neue Formen zur digitalen Zusammenarbeit zu implementieren, um die Wege kurz zu halten damit sich die Netzwerkmitglieder unkompliziert gegenseitig auf dem Laufenden halten können.
Die nicht-repräsentative Umfrage am Netzwerktreffen in Bellinzona im Juni 2024 zeigt, dass unter den teilnehmenden Mitgliedern viele maximal zwei Jahre Mitglied im Netzwerk sind, und viele als ein Motivator zum Beitritt den Wissenszuwachs in PPC durch die Lehrbeiträge angegeben haben.
Die Mitglieder-Umfrage bezüglich der Zukunftswünsche an das Netzwerk zeigte das Anliegen nach mehr Visibilität der PPC-Arbeit und den Wunsch nach einer weiterhin guten Zusammenarbeit, sowie Unterstützung bei Fragen und Anliegen im Praxisalltag zu erhalten. Dass Lobbying und das Einstehen für die Belange der betroffenen Kinder und deren Familien noch mehr Gewicht erhalten sollten, ist ein berechtigtes Anliegen, welches durch weitere Anstrengungen und allfällige Forschungskollaborationen sicherlich noch klarer für die Situation in der Schweiz herausgearbeitet werden kann.
Es bestätigte sich in der Umfrage, dass neben den ressourcenschonenden zwei Online-Treffen die physischen Treffen in einer der Versorgungsregionen weiterhin einen wichtigen Platz einnehmen sollen. Einander auch persönlich zu begegnen, hilft im vollbepackten, herausfordernden Alltag den direkten Weg in der Netzwerkarbeit zu begehen, um zum Wohl der betroffenen Kinder und deren Familien individuelle und bestmögliche Formen von Zusammenarbeit und Unterstützung zu gewährleisten.
Referenzen
- Fraser, Lorna K., et al. Estimating the current and future prevalence of life-limiting conditions in children in England. Palliative Medicine 35.9 (2021): 1641-1651. doi: 10.1177/0269216320975308.
- Bundesamt für Gesundheit (BAG), Nationale Strategie Palliative Care. Grundlagen zur Strategie Palliative Care (admin.ch)
- Palliative ch. Was wir tun: Pädiatrisches Palliative Care Netzwerk PPCN – palliative.ch
- Verband Kinder Spitex Schweiz Über uns (kinder-spitex.ch)
- Joël Kinderspitex Stiftung Joël Kinderspitex, Schweiz | Die Stiftung Joël Kinderspitex als Arbeitgeberin (joel-kinderspitex.ch)
- KIFA Schweiz Kifa – die einzigartige Kinderspitex | Stiftung Kifa Schweiz (stiftung-kifa.ch)
- Verein Raum für Geschwister Verein Verein Raum für Geschwister VRG Schweiz | Verein Raum für Geschwister (geschwisterkinder.ch)
- Elternvereinigung intensiv-kids https://intensiv-kids.ch/intensiv-kids.ch/
- Allani Kinderhospiz Bern allani Kinderhospiz Bern | allani Kinderhospiz Bern
- Flamingo Kinderhospiz Kinderhospiz – Flamingo Kinderhospiz (kinderhospiz-flamingo.ch)
- Stiftung Kinderhospiz Schweiz Stiftung Kinderhospiz Schweiz (kinderhospiz-schweiz.ch)
- Fondation As’trame (www.astrame.ch)
- Bildungszentrum für Gesundheit und Soziales Bildungszentrum für Gesundheit und Soziales (bfgs-tg.ch)
- Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften Komplexe Situationen in der Pädiatrie | ZHAW Gesundheit
- Universität Zürich, Weiterbildung Kurs | UZH Weiterbildung
- Haute école de santé (HES) Arc et Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV) (https://www.he-arc.ch/sante/formation-continue/cas-en-soins-palliatifs/)
- Dialog Ethik Stiftung Dialog Ethik – Wissen und Kompetenz im Gesundheitswesen (dialog-ethik.ch)
- European Association for Palliative Care (EAPC), Palliative Care for Children & Young People. Palliative Care for Children & Young People – (CYP) EAPC (eapcnet.eu)
- European Association for Palliative Care (EAPC), 2022. European Charter on Palliative Care for Children and Young People. CYP Charter German v3 – 1 (pagetiger.com)
- Letzte Hilfe Schweiz. Letzte Hilfe Schweiz – Der niederschwellige Letzte Hilfe Kompaktkurs
- International Children’s Palliative Care Network icpcn.org/hatson4cpc/
- Worldwide Hospice Palliative Care Alliance World Hospice and Palliative Care Day Theme 2024 – ehospice