Mit Dank an das Team des University College London Hospitals (UCLH) für all die Unterstützung während meines Fellowships in Adoleszentenmedizin sowie die Vermittlung des nötigen Verständnisses für eine erfolgreiche Therapie bei Patienten mit Chronic Fatigue Syndrome: Dr. Terry Segal, Dr. Joanna Begent, Anna Gregorowski, Dr. Jane Simpson.
Einleitung
Fallbeispiel (1. Teil): Jason (Name geändert) ist ein 16-jähriger Jugendlicher, welcher bis im Alter von 10 Jahren gesund war, dann jedoch im Anschluss an eine virale Infektion über persistierende körperliche Schwäche und Müdigkeit klagte. Die Laboruntersuchungen ergaben keine Hinweise für eine somatische Ätiologie. Ein MRI des Schädels und der Wirbelsäule war unauffällig. Es wurde die Diagnose eines Chronic Fatigue Syndroms gestellt.
Chronische Müdigkeit ist ein häufiges Symptom bei jugendlichen Patienten in der ärztlichen Sprechstunde und kann vielfältige Ursachen haben. Was für Kriterien braucht es also für die Diagnose eines Chronic Fatigue Syndroms (CFS/ME)? Welche Abklärungen sind notwendig? Wie sieht eine erfolgversprechende Therapie aus? Diese Publikation gibt eine Übersicht über das Krankheitsbild CFS/ME, die Differenzialdiagnosen und notwendige Abklärungen, die gängigen Therapieempfehlungen und die Prognose.
Historischer Hintergrund
Die Kernsymptomatik des CFS/ME ist eine ausgeprägte Müdigkeit bzw. Erschöpfung nach körperlicher oder mentaler Aktivität, welche die Alltagsaktivitäten einschränkt und über mehrere Monate anhaltend ist. Das Chronic Fatigue Syndrome, im deutschen Sprachraum auch chronisches Erschöpfungssyndrom oder chronisches Müdigkeitssyndrom genannt, wird häufig mit der Diagnose (benigne) myalgische Encephalomyelitis/Encephalopathie (ME) gleichgesetzt und daher in etlichen Publikationen – auch diesem Übersichtsartikel – als CFS/ME abgekürzt. Die Bezeichnung myalgische Enzephalitis (ME) wurde erstmalig um 1950 verwendet und durch Publikationen von Ramsay et al. in den 80er und 90er Jahren geprägt. 1987 führte eine Expertengruppe der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) den Begriff und Diagnosekriterien des Chronic Fatigue Syndroms (CFS) ein.
Der Begriff myalgische Encephalomyelitis ist umstritten, da es keine klare Evidenz für eine Entzündung des zentralen Nervensystems gibt. Allenfalls wäre myalgische Encephalopathie passender. Diskutiert wird, ob ME eine schwere Form von CFS sein könnte. Für die Patienten wirkt der Begriff Chronic Fatigue Syndrome häufig stigmatisierend und die Schwere der Erkrankung nicht widerspiegelnd, dennoch ist dies der am häufigsten verwendete Begriff, weil er die Kernsymptomatik am treffendsten beschreibt.
Letzlich ist jedoch nicht die Nomenklatur entscheidend, sondern wie wir den Begriff CFS/ME in Kontext zum Leiden der betroffenen Patienten setzen und diese mit empathischer Führung ernst nehmen. In einem Artikel mit dem Titel «Chronisch todmüde» über einen führenden Gen-Forscher und seinen an CFS/ME erkrankten Sohn, wird eindrücklich beschrieben, welches Gefühl der Trostlosigkeit und Hilflosigkeit bei Patienten und Eltern aufkommt, wenn sie mit dieser Krankheit umgehen lernen müssen (https://reportagen.com/content/chronisch-todm-de). Ebenfalls eindrücklich ist der Film „unrest“ (https://www.unrest.film/).
Pathogenese
Ob CFS, ME oder CFS/ME, dieses Krankheitsbild hat in den letzten Jahrzehnten immer wieder für kontroverse Diskussionen gesorgt. Während die internationale statistische Klassifikationseinteilung ICD-10 das CFS/ME unter den neurologischen Krankheitsbildern auflistet, wurde die Diagnose als somatische Krankheit doch immer wieder in Frage gestellt, weil es an biologischen Grundlagen zur Erklärung der Pathogenese des CFS/ME fehlte. Neuere Publikationen beleuchten eindrücklich die Forschungserkenntnisse der letzten 35 Jahre über die Pathophysiologie von CFS/ME und wie viele biologische Systeme dabei eine Rolle spielen (zentrales und autonomes Nervensystem, metabolische Veränderungen, immunologische Mechanismen, infektiöse Prozesse), ohne jedoch die Ätiologie abschliessend definieren zu können.1)2) Eine genetische Prädisposition wird bei familiärer Häufung postuliert und durch Zwillingsstudien unterstützt, ein Gen konnte jedoch bisher nicht isoliert werden.
Patienten selbst sehen den Auslöser häufig in viralen Infektionen oder Stress.3) Auffallend oft tritt CFS/ME in der Tat im Anschluss an virale Erkrankungen auf (z.B. Epstein-Barr-Virus-Infektion), aber auch körperliche Verletzungen und Schmerzen, Impfungen (z.B. HPV-Impfung) oder psychische Traumata können als Trigger fungieren.
Auf Grund des zeitlichen Zusammenhangs ist die HPV-Impfung bei Jugendlichen ein häufiges Thema. Aktuelle Studien europäischer Datensets zeigen jedoch keine Evidenz für einen direkten Zusammenhang zwischen der HPV-Impfung und CFS/ME.
Epidemiologie
Obwohl CFS/ME in allen Altersgruppen auftreten kann, beginnt die Krankheit häufig bei Jugendlichen zwischen 11 – 19 Jahre oder mit einem zweiten Altersgipfel im Erwachsenenalter zwischen 30 – 39 Jahren. Im Kindesalter scheint keine Geschlechtspräferenz zu bestehen, bei Jugendlichen und im Erwachsenenalter sind Frauen häufiger betroffen.6)
Klinische Manifestation und assoziierte Beschwerden
Fallbeispiel (2. Teil): Bei Jason persistierte die Müdigkeit und Schwäche nach der viralen Infektion und führte primär in den folgenden 2 Jahren zu zunehmender Mobilitätseinschränkung bis hin zu Rollstuhlbedürftigkeit. Nach der Diagnosestellung des CFS/ME wurde eine intensivierte Physiotherapie eingeleitet, worunter sich die Mobilität zwar verbesserte, sich aber gleichzeitig die kognitiven Fähigkeiten verschlechterten: Beginnend mit „brain fog“ verlangsamten sich seine intellektuellen Fähigkeiten zunehmend, bis er die Schule verlassen musste. Bei Zuweisung an das Team des University College London Hospitals (UCLH) im Alter von 16 Jahren war Jason bettlägerig, er wurde von seiner Mutter gefüttert und klagte über Hals- und Gelenkschmerzen. Er zeigte eine Angstsymptomatik mit depressiven Zügen und eine Schlafstörung. Sozial war er isoliert, selbst das Familienleben war ihm zu anstrengend, so dass er sich vollständig zurückzog und in einem abgedunkelten Zimmer die Tage im Bett verbrachte. Während sich seine Mobilität unter der Therapie am UCLH schrittweise weiter verbesserte, wurde er zunehmend averbal bis hin zu Mutismus. Als einzige Kommunikationsform war noch eine Daumenbewegung in schmerzhafter Langsamkeit möglich.
Das CFS/ME ist eine systemische, den Alltag deutlich einschränkende Krankheit mit negativem Effekt auf Lebensqualität, Schulbesuch, sowie den sozialen und familiären Alltag, welche mit körperlicher und mentaler Müdigkeit einhergeht, die über einen längeren Zeitraum besteht, ohne sich nach Schlaf wesentlich zu verbessern und welche nicht alleinig durch Anstrengung verursacht ist. Weder eine somatische noch eine psychiatrische Grunderkrankung darf der Müdigkeit zugrunde liegen, wobei zu sagen ist, dass Angststörungen7) und Depression häufig als Komorbidität gefunden werden (bei Kindern und Jugendlichen bis zu einem Drittel der Patienten6)). Patienten mit psychiatrischen Komorbiditäten leiden oft an einem höheren Schweregrad des CFS/ME8) und einige Publikationen weisen auf eine schlechtere Prognose hin, wobei eindeutige Daten insbesondere bei Kindern und Jugendlichen fehlen.
Nach Ausschluss anderer somatischer oder psychiatrischer Erkrankungen als Ursache der Symptomatik müssen alle vier Hauptkriterien und mindestens ein Zusatzkriterium zur Diagnosestellung erfüllt sein (Tabelle 1). Diese Zusatzkriterien betreffen einerseits körperliche Symptome wie Schmerzen, Symptome des autonomen Nervensystems, gastrointestinale Symptome und Hypersensitivität. Andererseits ist die kognitive Dysfunktion mit „brain fog“, Erinnerungsschwierigkeiten und Konzentrationsproblematik eines der häufigsten und einschränkendsten Symptome. Wichtig ist das Bewusstsein, dass die Krankheit einen fluktuierenden Charakter aufweist und die Symptome sich über die Zeit verändern können. Wie Collin et al. in ihrer Publikation 20159) aufzeigten, unterscheiden sich Kinder und Jugendliche in ihrer Symptomatik betreffend Zusatzkriterien. So klagen jüngere Kinder häufiger über rekurrente Halsschmerzen und Schwindel und weniger über kognitive Einschränkungen und Schlafprobleme, während Jugendliche häufiger unter Kopfschmerzen und komorbider Depression leiden.
Es besteht Einigkeit, dass CFS/ME zum Zeitpunkt des heutigen Forschungsstandes eine klinische Diagnose darstellt, jedoch fehlen einheitliche Diagnosekriterien. Als Beispiele sind die Oxford Kriterien, die Fukuda Kriterien oder die kanadischen Konsenskriterien von 2003 zu nennen. Bei Kindern wird eine Mindestdauer der Symptomatik von 3 Monaten, bei Erwachsenen von 6 Monaten erwartet. Die Diagnosekriterien am UCLH lehnen sich an die NICE Guidelines 2007 10) an.
Verschiedene Schweregradeinteilungen werden diskutiert, wobei eine offizielle Einteilung fehlt. Allerdings kann eine Einteilung hilfreich sein, um das Procedere und die Therapiemodelle festzulegen. Die folgende Einteilung (Tabelle 2), angelehnt an die Empfehlungen des National Health Institut (NHS)11), hat sich in meiner klinischen Arbeit mit diesen Patienten bewährt.
Diagnostik und Differenzialdiagnosen
Die beim CFS/ME als Leitsymptom im Vordergrund stehende Müdigkeit ist ein häufiges Symptom zahlreicher anderer Krankheiten. Für die differentialdiagnostischen Überlegungen ist die detaillierte biopsychosoziale Anamnese essentiell und die bedeutendste Entscheidungshilfe bezüglich weiterführender Diagnostik. Das CFS/ME ist anamnestisch mit Hilfe der in Tabelle 1 aufgeführten Diagnosekriterien klar von den häufigen funktionellen Schlafstörungen im Kindes- und Jugendalter abzugrenzen. Auch wenn bei den meisten Patienten mit CFS/ME zusätzlich zur Fatigue eine Schlafstörung besteht.
Die ausführliche klinische Untersuchung umfasst einen umfangreichen neurologischen sowie einen internistischen Status, inklusive Suche nach signifikanten Lymphadenopathien und Hinweisen für eine Arthritis oder Bindegewebserkrankung. Apparative Untersuchungen, z.B. bildgebende Verfahren oder 24h-EKG, sind bei diagnostisch nicht eindeutiger Anamnese oder Klinik empfohlen. Bei anamnestischen Hinweisen für ein obstruktives Schlaf-Apnoe-Syndrom, insbesondere bei zusätzlich vorliegender Adipositas, sollte vor Diagnosestellung von CFS/ME der Ausschluss mittels Somnographie-Abklärung erfolgen. Je nach Beschwerden und anamnestischen Angaben ist eine interdisziplinäre Abklärung unter Einbezug von Spezialisten der entsprechenden Fachbereiche inklusive psychiatrischer Evaluation einzuleiten.
Zusätzlich ist ein Screeninglabor (Urinanalyse mit Frage nach Proteinurie, Mikrohämaturie und Glucosurie, differenziertes Blutbild, Nieren- und Leberwerte, Schilddrüsenfunktion, Blutsenkungsreaktion, CRP, Serumglucose (ggf. HbA1c), Zöliakiescreening, Calcium, Phosphat, CK, Ferritin10)) hilfreich, welches entsprechend der medizinischen Situation und Symptomatik erweitert wird. Eine routinemäßige Suche nach Borreliose, Hepatitis B und C, HIV, EBV oder CMV wird nicht empfohlen.10)
Therapie
Fallbeispiel (3. Teil): Nach der Zuweisung ans UCLH wurde bei Jason ein interprofessioneller Therapieansatz initiiert, welcher Pacing (Aktivitätsmanagement), Graded Exercise (angepasstes Ausdauertraining), Schlafhygiene, Schmerzbehandlung sowie psychologische Patienten- und Familienbegleitung beinhaltet. Auf Grund der Schwere seiner Erkrankung und des Bedarfs an Erholungszeit erfolgte bei Jason eine Intervalltherapie mit Hospitalisationen von einer Woche pro Monat. Der Eintritt erfolgte jeweils am Freitag, da das Wochenende zur Erholung von der Anreise benötigt wurde, um ab Montag genügend Energie für kurze Therapieeinheiten aufzubringen. Die Anzahl der Sitzungen und die Wahl der Therapeuten wurden seinen Möglichkeiten und Zielen angepasst.
Unter der Therapie verbesserte sich seine Mobilität schrittweise von vollständiger Immobilität über Rollstuhlfähigkeit bis zum eigenständigen Gehen. Erst danach entschied sich Jason, den Therapiefokus auf die Sprache zu legen. Es begann mit einem Lachen, über einzelne Worte, bis er im Verlauf wieder Sätze formulieren konnte und alle mit einer nun post-pubertären Stimme überraschte. Nach einer Therapiedauer von 2 Jahren konnte er selbständig gehen, sprechen, einen sozialen Umgang mit Familie und Freunden pflegen, und sogar flirten mit anderen Patientinnen wurde möglich.
Verschiedene Studienresultate zeigen die Effektivität eines interprofessionellen symptomorientierten Therapieansatz über eine längere Zeitperiode. Eine kausale Therapie gibt es bisher nicht. Umso wichtiger ist daher die Früherkennung der Symptome und Einleitung einer angepassten Therapiemodalität, um eine Chronifizierung sowie Sekundärprobleme durch Immobilität und sozialen Rückzug möglichst zu vermeiden. Insbesondere bei Kindern sind die Heilungschancen deutlich höher als bei Erwachsenen.6) Um die Chancen des Therapieerfolges zu erhöhen ist eine klare Diagnosestellung wichtig, da Patienten, welche an ihrer Diagnose zweifeln oder bei denen Ängste vor einer anderen zugrundeliegenden Erkrankung persistieren, sich schlecht auf eine wirkungsvolle Therapie einlassen können. Es ist essentiell, dass Patienten sich selbst und ihre Krankheit ernstgenommen fühlen.
Beim Ziel der symptomorientierten Therapie besteht hingegen Konsens: Eine Verbesserung der körperlichen Aktivität, des Sozial- sowie Schul- oder Arbeitsleben wird angestrebt. Eine umfassende Rehabilitation sollte diese Ansätze verfolgen sowie einen Fokus auf Krankheitserklärung und Patientenverständnis legen.5)
Pacing (Aktivitätsmanagment)
Das Pacing ist ein zentrales Behandlungselement des interprofessionellen Therapieansatzes. Das Ziel ist es, Überanstrengung mit konsekutivem Rückfall („boom and bust“ Situationen) zu vermeiden, indem körperliche, intellektuelle und emotionale / soziale Aktivitäten gleichmäßig dosiert über den Tag und die Woche verteilt werden und die Routine auch am Wochenende fortgeführt wird. Die sorgfältige Darstellung der Aktivitäten in einem Tagebuch schafft Visualisierung für den Patienten und das Behandlungsteam und damit eine Basis für die weitere Planung. Es soll betont werden, dass auch Alltagshandlungen wie Zähneputzen oder Haare kämmen festgehalten werden sollen. Für einen Teil der Patienten ist es hilfreich die Tätigkeiten zusätzlich in ein Ampelsystem mit unterschiedlichen Intensitätsgraden (grün, orange, rot) einzuteilen.
Nach Etablierung einer Baseline soll alle 3 – 4 Wochen eine Steigerung um ca. 10 % erwogen werden. Zu beachten ist, dass alle Aktivitätsgruppen gleichermaßen wichtig sind und gesteigert werden sollen. Manchmal ist dies insbesondere für Eltern schwierig zu akzeptieren, da für sie Ausbildung oder Arbeit existenziell wichtiger erscheinen als körperliche oder soziale Aktivitäten.
Die Schulsituation ist für die Mehrheit der Patienten verbunden mit vielen Schulabsenzen13) oder gänzlichem Ausscheiden aus dem regulären Schulsystem.14) Um Sekundärfolgen zu vermeiden, ist eine zeitnahe Reintegration anzustreben.15) Jedoch soll auch dies in einem kontrollierten Rahmen, mit schrittweiser Steigerung erfolgen.
Graded Exercise (angepasstes Ausdauertraining)
Tägliche körperliche Bewegung wird als wichtiger Bestandteil des interprofessionellen Therapiemodells angesehen, insbesondere auch um Sekundärprobleme durch Muskelabbau bei Immobilität zu vermeiden. Das Konzept des angepassten Ausdauertrainings sieht vor, dass die körperliche Aktivität nach Etablierung einer Baseline schrittweise gesteigert wird. Dieser Ansatz wird insbesondere von Patientenvereinigungen kritisiert und als potentiell schädlich angesehen, da die zunehmende Belastung bei einigen Patienten zu einer Überbeanspruchung und einer Zustandsverschlechterung führen kann. Es ist daher zu empfehlen, die Therapie stark am Patienten und seiner Mitbeurteilung des Verlaufs zu orientieren. Nachdem die Baseline etabliert wurde, soll gemeinsam mit dem Patienten diskutiert werden, welche körperlichen Aktivitäten als realistische Ziele gesetzt werden können: Diese können sehr unterschiedlich sein, z.B. von 5-minütigem Stretching täglich, über einen kurzen Hundespaziergang bis zu lediglich Aufsitzen im Bett bei schwer kranken Patienten. Wichtig ist es, die Patienten vor zu grossen Schritten mit Frustrationserlebnissen zu schützen und Ängste vor Rückschritten anzusprechen.
Schlaf
Der Großteil der Patienten mit CFS/ME weist eine Schlafstörung auf. Patienten mit Tag-Nacht-Umkehr oder Hypersomnie sollen erkannt und entsprechend behandelt werden. Die Förderung der Schlafhygiene ist bei allen Patienten ein wichtiges Element der Therapie (siehe Empfehlungen zur Schlafberatung von Jugendlichen von Liamlahi et al. in der Paediatrica 1/2019). Insbesondere sind die Patienten darauf hinzuweisen, dass mit vermehrtem Schlafen und Napping tagsüber nicht eine Verbesserung der Symptomatik zu erwarten ist, da dadurch der zirkadiane Rhythmus nur noch mehr gestört wird. Patienten werden angehalten, tagsüber nicht länger als 30 Minuten zu schlafen und diese Schlafzeiten schrittweise zu reduzieren.
Sachliche Wissensvermittlung ist auch in Bezug auf das Thema Schlaf für die Patienten hilfreich, z.B. Erläuterungen zur Schlafhomöostase, sowie den negativen Einfluss von elektronischer Bildschirmzeit auf die Melatoninausschüttung. Werden schlafhygienischen Massnahmen eingehalten (das grösste Problem stellen meist elektronische Medien dar) und die Einschlafproblematik bleibt bestehen, profitiert ein Teil der Patienten von einer Melatonin-Einnahme 30 – 60 Minuten vor gewünschter Einschlafzeit. Viele der Patienten mit CFS/ME bevorzugen dunkle Zimmer und leiden unter Lichtempfindlichkeit, so dass der Effekt von Tageslicht auf die Cortisonausschüttung am Morgen betont werden soll.
Psychotherapeutische Behandlung
Das Team am UCLH wendet nebst Elementen der kognitiven Verhaltenstherapie, eine individualisierte psychologische Therapie entsprechend dem Patientenbedarf an.
Die psychotherapeutische Behandlung ist ein integrativer Bestandteil des interprofessionellen Behandlungsmodells. Gewisse Patienten zeigen sich zu Beginn ablehnend gegenüber der Psychotherapie. Hier braucht es den Brückenschlag der Somatiker zu erklären, weshalb Körper und Seele nicht getrennt werden können und eine erfolgversprechende Therapie die Psychotherapie unverzichtbar macht. Zu beachten ist ferner, dass diese Patienten häufig auch für das Behandlungsteam eine Belastung darstellen und deshalb nebst der Patienten-fokussierten Therapie auch die Intervision im Team wichtig ist.
Medikamentöse Therapie
Trotz Nachweis gewisser metabolischer Veränderungen konnten experimentelle Studien bisher keine Wirksamkeit von medikamentösen Therapien zeigen (z.B. Rituximab). Medikamente sollten ergänzend zum interdisziplinären Therapieansatz symptomorientiert und zurückhaltend eingesetzt werden.
Chronische Schmerzen stellen eines der häufigsten Symptome dar und bedürfen ebenfalls eines interprofessionellen Therapieansatzes. Der Miteinbezug eines spezialisierten Schmerzteams ist hilfreich. Die üblichen Analgetika zeigen häufig eine ungenügende Wirkung. Erfolgversprechender ist das Antiepileptikum Gabapentin (Wirkungsmechanismus nicht genau bekannt), bei gleichzeitig bestehender Schlafstörung kann Amitriptylin versucht werden. Die Studienlage bezüglich des Einsatzes von Serotonin-Reuptake-Inhibitoren (SSRI) ist kontrovers.
Prognose
Bei Kindern und Jugendlichen ist die Prognose insbesondere bei milderer Symptomatik deutlich besser im Vergleich zu erwachsenen Patienten.6) Eine Verbesserung oder Erholung wird je nach Studie bei 54 – 94 % der behandelten Kinder und Jugendlichen gesehen. In der Longitudinalstudie von Rowe et al.15) mit Kindern und Jugendlichen zwischen 6 und 18 Jahren wurde nach 10 Jahren bei 68 % eine Genesung beobachtet, bei allen Probanden zeigte sich eine funktionelle Verbesserung, wobei 5 % weiterhin als sehr krank und 20 % als signifikant beeinträchtigt beschrieben wurden. Die durchschnittliche Erkrankungszeit lag bei 5 Jahren (1 – 15 Jahre).
Zusammenfassung
CFS/ME ist eine den Alltag stark einschränkende bis oft temporär invalidisierende systemische Symptomerkrankung, deren Ätiologie weiterhin ungeklärt ist und eine grosse Belastung für Patienten und ihre Familien darstellt. Uneinheitliche Diagnosekriterien erschweren die Beurteilbarkeit von Forschungsresultaten und Therapieempfehlungen. Ein frühzeitiger, interprofessioneller Therapieansatz verspricht insbesondere bei Kindern und Jugendlichen eine Verbesserung der Symptomatik bis hin zur vollständigen Genesung.
Referenzen
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