Einleitung
Die Diagnose einer lebensverkürzenden Erkrankung eines Kindes stellt das Leben einer Familie vor unerwartete Herausforderungen. Unvorbereitet verändert sich ihr Alltag und nicht selten müssen Eltern sich von beabsichtigten Lebensplänen verabschieden. Dies verlangt von Familien enorme Anpassungsleistungen sowie persönliche, materielle und soziale Ressourcen. Kinder mit Palliative-Bedarf stellen daher nicht nur Fachpersonen vor Herausforderungen, sondern vor allem auch die Eltern und die Geschwister. Der folgende Beitrag beleuchtet anhand verschiedener Fallbeispiele die unterschiedlichen psychosozialen und sozialarbeiterischen Aspekte rund um das Thema Krankheit und Tod im Familiensystem.
Erstes Fallbeispiel
Themenschwerpunkt: IV Leistungen, Vereinbarkeit Beruf und Familie
Komplex chronisch krankes Neugeborenes
Im 2022 kommt Elin* zur Welt. Bislang ging man davon aus, dass sie ein gesundes Kind sei. Doch bereits kurz nach der Geburt merken die Eltern, dass mit ihrer Tochter etwas nicht stimmt: Ihr Baby wirkt schwach und wichtige Lebensfunktionen wie die Atmung stellen sich nicht ein. Kurz darauf sind die Eltern mit ihrem Nachwuchs auf der Neonatologie Abteilung. Elin muss reanimiert werden. Die Diagnose: eine schwere hypoxische Encephalopathie mit dystoner Cerebralparese und Schluckstörung. Für die Eltern war das ein grosser Schock. Während der schweren Zeit steht auch die Sozialberatung der Familie unterstützend zur Seite. (* Namen durch die Autorin geändert.)
Einfinden in einen neuen Alltag
«Das Bewusstsein, ein schwerkrankes Kind zu haben, stellte sich erst nach einigen Wochen ein. Bis dahin hatten wir grosse Hoffnung unsere süsse Kleine würde doch noch gesund werden», so die Mutter von Elin. Heute ist Elin eineinhalb Jahre alt. Die dystonen Krisen haben abgenommen, gehören aber weiterhin zum Alltag. Am meisten beruhigt Elin Körpernähe, am liebsten von Mama oder Papa. Der enorme Zuwendungsbedarf ist für die Eltern einerseits kräftezehrend, andererseits spüren sie, dass es Elin hilft. So wechseln sie sich mit grosser Hingabe in der Betreuung von Elin ab. Da Elin nicht schlucken kann, muss mehrmals täglich Sekret aus dem Rachen abgesaugt werden und auch nachts ist sie auf intensive Pflege angewiesen.
«Als ich meiner Tochter zum ersten Mal einen Plastikschlauch in den Rachen schieben musste, empfand ich das als sehr übergriffig. Gleichzeitig merkte ich, wie es ihr Erleichterung verschaffte.» Mittlerweile gehört dies zum Alltag wie das tägliche Sondieren, Medikamente zu verabreichen und Übungen durchzuführen.
Unterstützung für die Eltern
Die intensive Pflege von Elin zehrt an den Kräften der Eltern, sie sind erschöpft. Sie erhalten Unterstützung von der Kinderspitex, täglich zwei Stunden und nachts fünf Mal pro Woche. Zusätzlich wünschen sie sich dringend Hilfe für den intensiven Alltag. Die Sozialberatung organisiert deshalb Unterstützung vom Freiwilligendienst Pro Pallium. Diese Einsätze bedeuten der Familie viel, so können sie sich während einem halben Tag pro Woche um die Dinge kümmern, die aufgrund des hohen Pflegeaufwandes liegen bleiben.
«Die Freiwillige von Pro Pallium ist für uns wie ein weiteres Familienmitglied. Wir können uns den Alltag ohne sie kaum noch vorstellen. Auch Elin fühlt sich bei ihr sehr wohl».
Finanzielle Einbussen
Der gesundheitliche Zustand ihrer Tochter wirkt sich auch auf die finanzielle Situation der Familie aus. Der Vater ist wegen hoher psychischer Belastung krankgeschrieben und erhält deshalb ein geringeres Einkommen. Die Mutter nimmt nach Ablauf des Mutterschafts- und Betreuungsurlaubes notgedrungen unbezahlten Urlaub bei der Arbeit, um sich um die Tochter und den Haushalt zu kümmern. Dadurch hat sich das Einkommen der Familie drastisch reduziert. Dies bei gleichbleibend hohen Lebenshaltungskosten und zusätzlichen Mehrauslagen für Benzin, Park- und Verpflegungskosten während Spitalaufenthalten und ambulanten Terminen.
Leistungen der Invalidenversicherung (IV)
In solchen Fällen kann die IV unter bestimmten Bedingungen Abhilfe schaffen. Hierfür ist jedoch spezialisiertes Wissen notwendig.
Die Eltern von Elin waren erleichtert, als die Sozialberatung sie über die Hilflosenentschädigung (HE) und den Intensivpflegezuschlag (IPZ) der IV aufklärten. Beides sind Geldleistungen für Personen, die nicht-altersentsprechende Unterstützung und Pflege benötigen. Nach einem Jahr obligatorischer Wartezeit stand Elin eine mittlere HE zu, was einem Betrag von 1225 Franken pro Monat entspricht.
Da die Familie den Eintritt in eine spezialisierte Kita plante, was mit hohen finanziellen Auslagen verbunden ist, erwies sich die finanzielle Entlastung mittelfristig aber als unzureichend. Die Kispexstunden, welche ebenfalls zum Grossteil von der IV gedeckt sind, werden bei der Berechnung des IPZ abgezogen. Deshalb empfahl die Sozialberatung den Eltern den Abklärungsbericht einzufordern. Anhand des Abklärungsberichtes der IV wurde rasch klar, dass die Familie auf wenige Stunden an Unterstützung durch die Kispex verzichten konnte, um dann einen IPZ zu erhalten. So entschieden sich die Eltern für die Variante von reduzierten Kispex-Einsätzen zu Gunsten eines IPZ. Zusätzlich zur HE erhält die Familie monatlich 980.00 Franken als IPZ. Dies zeigt auf, dass Familien einen gewissen Spielraum haben, welche Leistungen sie in welcher Form beanspruchen möchten. Hier kann eine Sozialberatung entscheidende Hinweise geben.
Bei Elins Familie deckten die IV-Leistungen zwar nicht den Lohnausfall, doch es bietet eine wertvolle Unterstützung, um ein Leben über dem Existenzminimum zu ermöglichen.
Assistenzbeiträge der IV
Nebst den direkten Geldleistungen der IV gibt es unter gewissen Voraussetzungen die Möglichkeit Assistenzbeiträge (AB) der IV zu beantragen. Mit dem AB, welcher in Stunden gutgesprochen wird, können Eltern eine Person zur Unterstützung im Alltag, beispielsweise für die Pflege des Kindes oder für Haushaltarbeiten, anstellen. Der Lohn dieser Assistenzperson wird von der IV bezahlt. Bei Elins Familie waren diese Voraussetzungen dazu nicht erfüllt.
Nicht flächendeckende Angebote für Fremdbetreuung
Hinsichtlich der Kita für Kinder mit besonderen Bedürfnissen, haben Elin und ihre Eltern Glück. Elin lebt sich schnell ein und freut sich, mit anderen Kindern zusammen zu sein. Dies ist nicht selbstverständlich, denn solche und andere Angebote zur Fremdbetreuung von schwerkranken Kindern sind in der Schweiz nicht flächendeckend vorhanden. Zudem variieren die Subventionsbeiträge je nach Gemeinde stark.
Elins Familie jedoch, hat nach einer anstrengenden und intensiven Zeit passende Lösungen gefunden und in einen zufriedenstellenden Alltag zurückgefunden.
«Vor einem Jahr dachte ich noch, mir wächst alles über den Kopf. Rückblickend habe ich aber auch sehr viel gelernt und all die Hürden haben uns als Paar zusammengeschweisst.»
Zweites Fallbeispiel
Themenschwerpunkt: Arbeitsrecht/Unterstützung bei Versterben eines Kindes
Zur Situation
Max* ist an einem Medulloblastom WHO Grad IV verstorben. Der Leidensweg der Familie war lang und ungemein traurig, auch wenn es für sie und das Kind immer wieder schöne Momente gab. Auch für das Behandlungsteam war es immer wieder schwierig, die Situation auszuhalten. Die Diagnose wurde gestellt, als das Kind 7 Jahre alt war. Die Eltern haben noch ein älteres Kind. Vater und Mutter sind zu diesem Zeitpunkt beide in einem unbefristeten Anstellungsverhältnis, erzielen jedoch trotz ihres hohen Pensums ein geringes Einkommen. (* Namen durch die Autorin geändert.)
Gesetzliche drei Tage
Aufgrund der belastenden Situation und intensiven Therapie sowie Begleitung des älteren Kindes, liessen sich beide Elternteile längere Zeit krankschreiben. Von Gesetzes wegen stehen betreuenden Angehörigen drei Tage pro Krankheitsfall für die Pflege eines Familienmitgliedes zu, was im Art. 329h OR gesetzlich geregelt ist: «Die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer hat Anspruch auf bezahlten Urlaub für die Zeit, die zur Betreuung eines Familienmitglieds, Lebenspartnerin oder des Lebenspartners mit gesundheitlicher Beeinträchtigung notwendig ist; der Urlaub beträgt jedoch höchstens drei Tage pro Ereignis und höchstens zehn Tage pro Jahr».
Lohnfortzahlung
Die Eltern mussten sich wegen der hohen Belastung krankschreiben lassen. Je nach Anstellungsverhältnis und Dienstjahren erhalten Arbeitnehmende eine Lohnfortzahlung vom Arbeitgeber, was gesetzlich im OR und unter Umständen ergänzend im Abrede, Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag geregelt ist:
OR Art. 324a
- Wird der Arbeitnehmer aus Gründen, die in seiner Person liegen, wie Krankheit, Unfall, Erfüllung gesetzlicher Pflichten oder Ausübung eines öffentlichen Amtes, ohne sein Verschulden an der Arbeitsleistung verhindert, so hat ihm der Arbeitgeber für eine beschränkte Zeit den darauf entfallenden Lohn zu entrichten, samt einer angemessenen Vergütung für ausfallenden Naturallohn, sofern das Arbeitsverhältnis mehr als drei Monate gedauert hat oder für mehr als drei Monate eingegangen ist.
- Sind durch Abrede, Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag nicht längere Zeitabschnitte bestimmt, so hat der Arbeitgeber im ersten Dienstjahr den Lohn für drei Wochen und nachher für eine angemessene längere Zeit zu entrichten, je nach der Dauer des Arbeitsverhältnisses und den besonderen Umständen.
- Bei Schwangerschaft der Arbeitnehmerin hat der Arbeitgeber den Lohn im gleichen Umfang zu entrichten.
- Durch schriftliche Abrede, Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag kann eine von den vorstehenden Bestimmungen abweichende Regelung getroffen werden, wenn sie für den Arbeitnehmer mindestens gleichwertig ist.
Betreuungsentschädigung
Gegen Ende der Intensivtherapie beginnt der Vater wieder zu arbeiten und bezog die Betreuungsentschädigung an einzelnen Tagen für Fahrten ins Spital. Das Gesetz über die Betreuungsentschädigung ist seit 2021 in Kraft, also eine noch junge Möglichkeit, um schwer kranke Kinder während 14 Wochen oder 98 Tagen betreuen zu können und eine Lohnfortzahlung zu erhalten. Die Auszahlung erfolgt über die Erwerbsersatzverordnung der zuständigen Ausgleichskasse.
Die Dauer und die Indikation für einen Anspruch sind im OR Art 329i gesetzlich verankert:
- Hat die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer Anspruch auf eine Betreuungsentschädigung nach den Artikeln 16n–16s EOG142, weil ihr oder sein Kind wegen Krankheit oder Unfall gesundheitlich schwer beeinträchtig ist, so hat sie oder er Anspruch auf einen Betreuungsurlaub von höchstens 14 Wochen.
- Der Betreuungsurlaub ist innerhalb einer Rahmenfrist von 18 Monaten zu beziehen. Die Rahmenfrist beginnt mit dem Tag, für den das erste Taggeld bezogen wird.
- Sind beide Eltern Arbeitnehmende, so hat jeder Elternteil Anspruch auf einen Betreuungsurlaub von höchstens sieben Wochen. Sie können eine abweichende Aufteilung des Urlaubs wählen.
- Der Urlaub kann am Stück oder tageweise bezogen werden.
- Der Arbeitgeber ist über die Modalitäten des Urlaubsbezugs sowie über Änderungen unverzüglich zu informieren.
Die Mutter ist bis zum Abschluss der Therapie krankgeschrieben und erhält Krankentaggeld. Die intensive Strahlentherapie erfordert viele Fahrten und belastet die Familie finanziell, während ihr Einkommen ohnehin schon reduziert ist. Eine Stiftung übernahm dann sämtliche Fahrkosten nach intensiver Begleitung durch den Sozialdienst. Nach zwei Jahren Therapie die Erleichterung: Max ist tumorfrei. Die Eltern gehen beide wieder zu den angestammten Pensen arbeiten.
Doch bald erlebt die Familie den Schock: der Krebs ist zurück, nachdem die Eltern und Max wieder Vertrauen ins Leben gefasst hatten und sich von der täglichen Sorge etwas lösen konnten. Ihre Welt brach wieder zusammen, der Boden unter den Füssen wurde ihnen weggezogen. Den Eltern fehlte erneut die Kraft, ihrer Arbeit nachzugehen und im Ungewissen über dessen Zukunft wollten sie möglichst viel Zeit mit Max verbringen.
Da es sich um ein Rezidiv handelte, konnte erneut die Betreuungsentschädigung mit einer neuen Rahmenfrist beantragt und die Krankentaggelder wieder bezogen werden. Schon bald wurde die Mutter angewiesen, sich bei der IV anzumelden – auch Versicherer haben ein Melderecht, arbeitsunfähige Personen bei der IV anzumelden. Der Sozialdienst half dann der Mutter bei der Anmeldung. Ihre Sprachbarriere liess es nicht zu, dass die Mutter diese allein macht. Die Mutter musste sich einer wiederholten Behandlung unterziehen lassen.
Es ist zum jetzigen Zeitpunkt unklar, ob sie den Einstieg in die Erwerbsarbeit wieder finden wird.
Thema Tod
Für mich als Sozialarbeiterin war die Begleitung der Eltern während der letzten Wochen von Max`s Leben sehr eindrücklich. Für die Eltern war schon lange klar, dass sie ihr Kind in ihrem Heimatland beisetzen möchten. So haben sie sich bereits während der terminalen Phase mit der Seelsorge und mir zusammengesetzt, um die letzte Reise von Max zu planen. Neben der emotional äusserst belasteten Situation mussten einige administrative Schritte geregelt werden. Auf Gesuch hin erhielt die Familie einen Geldbetrag für die Bestattungskosten.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Familien mit schwerkranken Kindern vor zahlreichen Herausforderungen stehen, für die es keine einheitlichen Lösungen und Angebote gibt. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, die individuelle Situation sorgfältig zu erfassen und eine massgeschneiderte Unterstützung sowie Beratung durch Fachpersonen unterschiedlicher Disziplinen und Professionen anzubieten.
Obwohl es in der Schweiz eine Vielzahl an finanziellen und sozialen Unterstützungsangeboten sowie ein gut ausgebautes Sozialversicherungssystem gibt, sind die Lösungen manchmal dennoch nur unzureichend zufriedenstellend. Aus diesem Grund gehört es zum Alltag der betroffenen Familien und der begleitenden Fachpersonen, schwierige Situationen auszuhalten. Abschließend ist zu betonen, dass Palliativsituationen bei Kindern und ihren Familien oft sehr komplex und vielschichtig sind. Dies macht eine enge Zusammenarbeit verschiedener Fachdisziplinen und -professionen unerlässlich.